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«Liebe Frauen, steigt ihr vom Velo, wenn ihr vom Strassenschild «Radfahrer absteigen» dazu aufgefordert werdet?» Die Frage stellte Spoken-Word-Künstlerin Daniela Dill im Sissacher Jakobshof. Vor rund 40 Interessierten, darunter sechs Männer und Ständerätin Maya Graf, sprach sie einführend über Sprachpolitik, Emanzipierung und Selbstbestimmung. «Ich nahm die Wörter einfach als sprachliche Zeichen ohne für mich relevante Bedeutung zur Kenntnis», fuhr sie fort, «der Polizist am Ende der Strasse sah das anders.» Geladen hatten Frauenverein und Gemeinde, um Frauen für politische Ämter zu gewinnen.
Die folgende Gesprächsrunde bildeten Nationalrätin und ehemalige Präsidentin der Baselbieter Grünen Florence Brenzikofer, die Landrätin und ehemalige Präsidentin der Baselbieter FDP Saskia Schenker, Sissachs erste Gemeinderätin Alice Leber (SP) sowie Gemeinderätin Carol Zumbrunnen (FDP). Moderiert wurde die Runde von Claudia Regenass.
Gemeinderätin Zumbrunnen forderte die Frauen auf, mutig zu sein. Man könne wachsen am Amt. «In der Schule fiel ich nie auf, war die Leiseste, habe nie etwas gesagt, denn es hätte ja falsch sein können», blickte Carol Zumbrunnen zurück. Das habe sich geändert. Auf der einen Seite bedinge die nötige Dossiersicherheit Knochenarbeit, andererseits «ist es wahnsinnig schön, wie viele Leute ich durch meine politische Tätigkeit kennenlernen durfte».
«Die konnten einfach alles»
Der heimliche Star des Abends war die 83-jährige Alice Leber, die 1984 in den Gemeinderat gewählt worden war. «Vor allem seitens der Frauen hiess es damals, Sie können wir nicht wählen; Sie haben Kinder und einen Mann», erzählte Leber nicht ohne Ironie, «ich hatte keine Mühe mit den sechs Männern im Gemeinderat, aber die sechs Männer hatten Mühe mit mir.» Sie habe in ihrer spannenden Zeit als Gemeinderätin viel gelernt sowohl fachlich und technisch als auch menschlich. «Frauen zweifeln zu sehr an sich», räumte Alice Leber ein, «zumindest zu meiner Zeit im Gemeinderat taten das die Männer nie - die konnten einfach alles.»
Nationalrätin, Lehrerin und Mutter Florence Brenzikofer führte aus: «Wenn man Politik macht, berufstätig ist und Familie hat braucht es im Hintergrund viele Leute, die einen unterstützen; die hatte ich immer.» Wichtig sei, das Leben im Gleichgewicht zu halten, auch mal Pause zu machen. Schwierig sei, dass Frauen immer noch oft auf das Äussere reduziert würden. Und, so Saskia Schenker: «Es gibt Menschen, die nicht zwischen persönlicher Ebene und Sachebene unterscheiden.»
Die Wohlfühlzone verlassen
Schenker erinnerte sich, wie Regierungsrat Anton Lauber ihr geraten hatte, sie müsse mehr an die Front, denn man müsse wissen, was sie mache. «Du kannst in der Politik nicht stille Schafferin sein, denn wenn du gerne Politik machst, musst du auch wieder gewählt werden», sagte Saskia Schenker und sprach davon, dass Politik eine Dauerweiterbildung sei, was sie sehr schätze: «Man kommt immer wieder in Situationen, in denen man aus der Wohlfühlzone raus muss.»
Zurück zu Daniela Dill und ihrem Polizisten. Die weibliche Sprachexistenz und folglich ihre Existenz überhaupt könne nicht zu einem Fantasie-Produkt degradiert werden, zu einem Gespenst also, monierte die Spoken-Word-Künstlerin. «Wenn die Sprache der Spiegel der Gesellschaft ist, Gespenster aber bekanntlich kein Spiegelbild haben, dann existieren sie in der Gesellschaft auch nicht. Ich werde die Busse also nicht zahlen, habe ich entschieden zu diesem Polizisten gesagt. Oder sehen sie etwa Gespenster.»