Aktuell

2.09.2024 Kolumne beim Arbeitgeberverband Region Basel: «BVG-Reform – sind wir noch kompromiss- und reformfähig?»

2.09.2024 Kolumne beim Arbeitgeberverband Region Basel:  «BVG-Reform – sind wir noch kompromiss- und reformfähig?»

(...) Die Gewerkschaften wollten die Übergangsfinanzierung im parlamentarischen Prozess viel weiter ausbauen und mehr Begünstigte vorsehen, auch solche, die gar nicht betroffen sind. Sie drohten mit dem Referendum, wenn die Parlamentsmehrheit nicht dazu bereit ist, und haben diese Drohung wahrgemacht. Eine weiter ausgebaute Übergangsfinanzierung hätte aber höhere Mehrkosten der Reform bedeutet. Mehrkosten, die auch wieder bezahlt werden müssen.

Hier geht's zur Kolumne:

https://www.arbeitgeberbasel.ch

Oder hier direkt:

BVG-Reform: Sind wir noch kompromiss- und reformfähig?

Seit 2017 arbeiten Bundesrat und Nationalrat an der aktuellen Vorlage zur Revision der 2. Säule unserer Altersvorsorge, der beruflichen Vorsorge (BVG). Diese soll an die neuen Arbeits- und Lebensrealitäten angepasst werden. Die beiden Ziele des Bundesrats waren und sind einfach und plausibel:
1.    Die Finanzierung der beruflichen Vorsorge durch Senkung des Umwandlungssatzes sichern
2.    Das Niveau der Altersleistungen erhalten und für Personen mit tieferen Einkommen und Teilzeitbeschäftigte verbessern

Versicherungstechnisch wissen wir, dass die BVG-Renten heute aus dem angesparten eigenen Kapital im Schnitt fünf Jahre länger reichen müssen als dies bei der Einführung der obligatorischen beruflichen Vorsorge der Fall war. Denn wir leben heute länger. Das zwingt die Pensionskassen dazu, systemwidrig Geld von den Erwerbstätigen an die Pensionierten umzuverteilen. Das Geld der Erwerbstätigen kann so weniger gut verzinst werden. Das fehlt ihnen im verzinsten Alterskapital.
Deshalb muss der Umwandlungssatz, mit welchem das angesparte Kapital in eine Rente umgerechnet wird, gesenkt werden. Als vernünftigen Wert hat sich die Politik dazu entschieden, den Umwandlungssatz von heutigen 6.8 Prozent auf 6 Prozent zu senken. Da es um eine Anpassung im Obligatorium geht und viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Angestellten überobligatorisch versichern, sind 85 Prozent der Erwerbstätigen von dieser Anpassung nicht betroffen. Auch bestehende Renten bleiben gleich wie bis anhin. Für die ungefähr 15 Prozent der von der Massnahme tangierten Übergangsgeneration über 50 Jahre sieht die Reform einen Rentenzuschlag vor. Denn ihnen bleibt bis zur Pensionierung nicht mehr genügend Zeit, um die Anpassung des Umwandlungssatzes finanziell «wettzumachen».

Die Gewerkschaften wollten die Übergangsfinanzierung im parlamentarischen Prozess viel weiter ausbauen und mehr Begünstigte vorsehen, auch solche, die gar nicht betroffen sind. Sie drohten mit dem Referendum, wenn die Parlamentsmehrheit nicht dazu bereit ist, und haben diese Drohung wahrgemacht. Eine weiter ausgebaute Übergangsfinanzierung hätte aber höhere Mehrkosten der Reform bedeutet. Mehrkosten, die auch wieder bezahlt werden müssen.

Im Abstimmungskampf verbünden sich die gleichen Gewerkschaften nun mit denjenigen Gewerbekassen, die im politischen Prozess eine tiefere Übergangsfinanzierung für die Betroffenen eingefordert hatten, weil ihnen die Reform zu teuer ist.
Erstere, die Gewerkschaften, fänden es aber – wie wir Befürworter – wichtig und gut, die Altersgutschriften anzupassen, damit Ältere auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr signifikant teurer sind als jüngere Angestellte. Und sie fänden es auch noch wichtig, Teilzeitarbeit, Mehrfachbeschäftigung und niedrige Einkommen besser zu versichern, so, wie es die Vorlage vorsieht. Letztere, ein paar wenige gewerbliche Branchen mit eher tieferen Löhnen, würden auf die bessere Absicherung von Teilzeitarbeit und niedrigeren Löhnen lieber verzichten, weil dies höhere Lohnnebenkosten mit sich bringt.

Kurz: Es handelt sich um zwei politische Seiten, die in Sachen BVG-Reform nie einen gemeinsamen Kompromiss finden würden. Die Gewerkschaften werden genau jene Branchen bei den nächsten Lohnverhandlungen wieder öffentlich an den Pranger stellen und höhere Löhne und eine bessere Absicherung von Teilzeitarbeit einfordern…

Aber sie fordern dies lieber laut und stellen weiterhin die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber an den Pranger, als bei der aktuellen BVG-Reform Nägel mit Köpfen zu machen.

Inhaltlich sind die Argumente der Gewerkschaften gegen die Reform für mich nicht nachvollziehbar. Es wird mit Verunsicherung und konstruierten, realitätsfremden Einzelbeispielen argumentiert. Wer keinen Skrupel kennt, kann in einer komplexen Vorlage maximal verunsichern und so ein Nein erreichen.

Mir scheint, die Gewerkschaften haben die bisherige Stärke des Schweizer Politsystems, die Kompromissfähigkeit, verlernt. Für sie gibt es offenbar nur noch die Maximalforderung. Und sie zelebrieren eine Machtpolitik, die das Schweizer System bis anhin so nicht kannte. Das Resultat ist eine Reformunfähigkeit, mit der sie unser bewährtes Drei-Säulen-System schwächen. Aber das ist wahrscheinlich sogar das Ziel der Gewerkschaften.

Die beiden Ziele des Bundesrats zur Stärkung der beruflichen Vorsorge werden mit der Vorlage zur BVG-Reform übrigens bestmöglichst erfüllt. Deshalb setzen wir uns in einer breiten, parteiübergreifenden Allianz für ein Ja zur BVG-Reform ein.

Saskia Schenker, Direktorin Arbeitgeberverband Region Basel